Mehr.WERT.Pavillon
Zuletzt geändert vom Autor am 15/03/2021 - 16:37
- Jahr der Verpflichtung : 2019
- Straße : Bleichinselbrücke 74076 HEILBRONN, Deutschland
-
999 999 €
Die Bundesgartenausstellung (BUGA) 2019 in Heilbronn war erstmals sowohl eine Garten- als auch eine Stadtausstellung. Das neu erbaute Stadtviertel Neckarbogen, das zur Eröffnung der Ausstellung bereits in Teilen realisiert war, soll fortan als Prüfstand und Labor für neue Stadtentwicklungsszenarien dienen, die sich auf höchste Lebensstandards und -qualitäten für eine sozial vielfältige Bevölkerungsgruppe in einem dicht besiedelten zentralen Stadtumfeld konzentrieren. In diesem Zusammenhang wurde es von den Verantwortlichen für notwendig und relevant befunden, auch ein neues Denken bezüglich des Ressourcenverbrauchs im Bauwesen anzustoßen und die derzeitige lineare Wegwerf-Mentalität hinter sich zu lassen. Zu diesem Zweck beauftragte die Leitung der BUGA gemeinsam mit der Stadt Heilbronn und deren Recyclingbetrieben die Fakultät Architektur am KIT Karlsruhe unter Führung der Professur für Nachhaltiges Bauen mit der Planung eines Pavillons der sich der Ressourcenfrage auf neue Weise näherte. Inhaltlich bespielt und betrieben wurde die darin befindliche Ausstellung von April bis Oktober 2019 durch das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg. Das Bauwerk trat den Beweis an, dass es schon heute möglich ist eine anspruchsvolle Architektur vollends aus den Materialien der urbanen Mine zu gestalten und zu realisieren, und dabei in der Konstruktion die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft ohne Kompromisse anzuwenden.
Einerseits nutzte der Pavillon dazu die vorhandene urbane Mine als Rohstoffquelle: alle im Projekt verwendeten Materialien haben bereits mindestens einen Lebenszyklus durchlaufen und wurden entweder wiederverwendet oder -verwertet. Zum anderen dient der Pavillon als zukünftiges sortenreines Materiallager, das am Ende der Ausstellung für zukünftige Konstruktionen wieder verfügbar gemacht werden kann. Die für den Bau verwendeten Materialien wurden alle nach diesen Voraussetzungen ausgewählt und lediglich mit Hilfe von lösbaren, mechanischen Verbindungen gefügt, so dass sie sortenrein und ohne Wertverlust vollständig wiederverwendet oder -verwertet werden können. Allerdings überzeugte das Bauwerk so sehr, dass es nach Ende der Ausstellung nun zunächst einmal komplett versetzt wurde und noch einige Jahre in der Nähe seines ursprünglichen Standorts weiter bestehen bleibt - als Materiallager, sozialer Treffpunkt und als physischer Beweis, dass man schon heute kreislaufgerecht bauen kann.
Der Pavillon nutzt vier verschiedene Materialfamilien um seine Hauptelemente konstruktiv und gestalterisch zu unterscheiden:
- Die Fassaden und das Dach sind aus Glaspaneelen konzipiert, die aus wiederverwertetem Brauchglas und Industrieglasabfällen hergestellt werden. Gestalterisch erinnern die Platten an „Laub“, das an die Äste der Struktur angebracht wurde. Der Großteil besteht dabei aus MAGNA-Glaskeramikplatten. Bei deren Herstellung werden Glasscherben angeschmolzen und zu einem neuartigen Werkstoff zusammengeführt, der in Farbe und Transparenz variiert. Ebenfalls wurden Produkte aus wiederverwertetem Glasschaum genutzt, die eigentlich zur Wärmedämmung (Foamglas) oder Akustikverbesserung (Reapor) dienen.
- Die tragende Struktur besteht größtenteils aus wiederverwendetem Stahl, der aus einem stillgelegten und inzwischen gesprengten Kohlekraftwerk im Nordwesten Deutschlands stammt. Die Hauptstruktur bilden vier geneigte, sich baumartig auffächernde Stützen, die durch die starre Stahlrahmenkonstruktion der Hülle miteinander verbunden sind. Der ausgebaute Stahl wurde, wie weiter unten beschrieben, eingehend geprüft um die Standsicherheit des Pavillons zu gewährleisten und nachweisen zu können. Die aus dem Kraftwerk gewonnenen insgesamt 340 Einzelteile wurden vor Ort zur neuen Tragstruktur des Pavillons zusammengeschraubt.
- Alle Einbauelemente bestehen aus wiederverwertetem HDPE-Kunststoffabfall. Die Stühle wurden von Dirk van der Kooij aus den Niederlanden in einem 3D-Druckverfahren aus Kunststoff-Hausmüll hergestellt. Ebenfalls fanden während des Betriebs den Pavillons immer wieder Demonstrationen statt, um die Wiederverwertbarkeit von Kunststoffen darzulegen und kleine Elemente aus vermeintlichen Wegwerfprodukten wie Joghurtbechern selbst herzustellen.
- Der Boden des Pavillons sowie die Landschaftsgestaltung des Gartens wurden mit verschiedenen wiederverwendeten und -verwerteten Produkten aus mineralischen Bau- und Abbruchabfällen gestaltet. Das Konzept folgt dem Gedanken des „gefallenen Laubs“, also Flächen, die in ihrer Form und Größe an die der Fassaden erinnern. So kamen darin beispielsweise aus Bauschutt hergestellte Ziegelsteine der Firma StoneCycling zum Einsatz, die durch geschickte Farbkombinationen verschiedenster Mineralien aus der urbane Mine Namen tragen wie Nougat, Aubergine oder Wasabi. Hier wird die psychologische Ebene des Mehrwerts angesprochen um innere Hürden einer Wiederverwertung abzubauen. Der Pavillon steht auf Fundamentsteinen der Firma Feess, welche aus Beton mit einem Recyclingaggregatanteil von 100% hergestellt wurden. Lediglich durch an Legosteine erinnernde Steckverbindungen miteinander verschränkt lassen sich diese Fundamentblöcke nach Gebrauch wieder an den Hersteller zurückgeben. Der Großteil des Bodens wurde letztlich mit weißem Keramikbruch belegt, der aus alter Weißware und Geschirr gebrochen wurde und eine Alternative zu natürlichem Kies aufzeigt.
Das Ziel des Pavillons war und ist es, wichtige Fragen eines zukünftigen Bauens und des damit verbundenen Ressourceneinsatzes mit Entscheidungsträgern aus Politik, Bauplanung und -umsetzung zu diskutieren und daraus sowohl in der Praxis als auch in der Lehre neue innovative Konzepte, Anwendungen und Methoden zu entwickeln.
Datenverlässlichkeit
Selbstdeklariert
Nachhaltige Entwicklung
Testimonial / Feedback
al. 2019. “KIT realisiert Pavillon aus Recycling-Materialien.” EnBauSa News: Energetisch Bauen und Sanieren. April 29, 2019. https://www.enbausa.de/finanzierung/aktuelles/artikel/kit-realisiert-pavillon-aus-recycling-materialien-6373.html.
Architekturblatt. 2019. “Bundesgartenschau 2019: Pavillon aus Recycling- Materialien.” Architekturblatt (blog). April 26, 2019. https://www.architekturblatt.de/bundesgartenschau-2019-pavillon-aus-recycling-materialien/.
bba. 2019. “Kreislaufwirtschaft - Innovativer Ressourceneinsatz beim >>Mehr.WERT.Pavillon<< auf der BUGA.” bba - bau I beratung I Architektur: Fachmagazin für Architekten, Planer und Bauingenieure, May 31, 2019. https://www.bba-online.de/aktuell/meldungen/mehr-wert-pavillon-kreislaufwirtschaft/.
Berger, Christoph. 2019. “Ein Pavillon rein aus Sekundärrohstoffen.” Springer Professional, May 3, 2019. https://www.springerprofessional.de/baustoffe/recycling/ein-pavillon-rein-aus-sekundaerrohstoffen/16697864.
bl. 2019. “Bauen Mit Recyclingmaterial | Bioökonomie.De.” Bioökonomie.De. May 7, 2019. https://biooekonomie.de/nachrichten/bauen-mit-recyclingmaterial.
Eberhard, Simon. 2019. “Mit Weniger Mehr Bauen.” Haustech, May 1, 2019.
Janzing, Bernward. 2019. “Futuristisch Und Recyclebar.” Neue Energie, May 15, 2019.
Kanzian, Barbara. 2019. “Mehr.Wert.Pavillon: Grenzen zwischen Rohstoff und Müll verschwimmen.” Urban Mining(blog). July 17, 2019. https://urbanmining.at/grenzen-zwischen-rohstoff-und-muell-verschwimmen/9347.
Löfken, Jan Oliver. 2019. “Mehr Als Grüne Fassaden.” Neue Energie, May 15, 2019.
Sigmund, Bettina. 2019. “Mehr.WERT.Pavillon aus Recycling-Materialien.” Detail RESEARCH, May 7, 2019. https://www.detail.de/artikel/mehrwertpavillon-aus-recycling-materialien-34090/.
SO. 2019. “Bau Aus Sekundär-Rohstoffen.” Badische Neueste Nachrichten, April 28, 2019, sec. Die Region.
uk. 2019. “Anders bauen!” db deutsche bauzeitung, June 6, 2019.
Ernst, Andrea. 2019. “Wenn die Rohstoffe knapp werden - Bauen mit Schutt.” 3sat/ORF Documentary. Gesellschaft. Vienna, Austria: 3sat. https://www.3sat.de/uri/96d14b0c-2e52-4050-a7e3-f11fd0e61066.
SWR Aktuell. 2019. “Mehr.WERT.Garten in Heilbronn eröffnet.” swr.online. Heilbronn, Germany: SWR. https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/heilbronn/Heilbronn-Eroeffnung-des-Mehr,eroeffnung-des-mehrwert-gartens-100.html.
Governance
Entsorgungsbetriebe der Stadt Heilbronn, Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg und Bundesgartenschau Heilbronn 2019 GmbH
Regionalverwaltung
Nachhaltige Lösungen
- Förderung der kulturellen und historischen Identität
- Circular Economy
- Abfallwirtschaft
- Kohlenstoffarme Materialien/ Infrastruktur
Direkte Wiederverwendung von Stahl im Strukturbau
Die Stahlrohre der tragenden Konstruktion haben bereits ein Leben als Druckleitungen in einem ehemaligen Steinkohlekraftwerk hinter sich. Ihr Ausbau erfolgte im Rahmen von Rückbaumaßnahmen. Nach der Bestimmung der Stahlqualität erfolgte die Planung der Pavillonstruktur auf Basis dieses Bestands. So konnte die tragende Struktur größtenteils aus weiterverwendeten Elementen realisiert werden. Die Konstruktion besteht aus vier identischen, assymmetrisch geneigten Baumstrukturen, die einen aufgeständerten Kubus eines irregulären Fassadenrasters stützen. Alle Verbindungen sind lösbar, sodass eine vollständige Demontage und ein Wiederaufbau erfolgen kann.
- Förderung der kulturellen und historischen Identität
- Circular Economy
- Abfallwirtschaft
- Kohlenstoffarme Materialien/ Infrastruktur
Landschafts- und Gartenbau mit Materialien der Urbanen Mine
Im Boden kommen verschiedene mineralische Materialien zum Einsatz: Beton- und Ziegelbruch in verschiedenen Körnungen, direkt wiederverwendete Klinkersteine und Backsteine, die aus mineralischen Bauschutt bestehen. Die Zwischenflächen werden als wassergebundene Schicht aus Porzellanbruch ausgebildet. Gebrochene Teller und Tassen aus Produktionsausschuss und Recyclinghöfen werden hierzu gemahlen und als sortenreine Bodenschicht aufgebracht.
- Förderung der kulturellen und historischen Identität
- Circular Economy
- Abfallwirtschaft
- Kohlenstoffarme Materialien/ Infrastruktur
Fassade und Dach aus Recyclingglas
Die transluzenten Fassaden bestehen hauptsächlich aus Glaskeramikplatten. Es handelt sich dabei um ein Produkt, das zu 100 Prozent aus Recyclingglas hergestellt wird. Rohstoffquelle sind hierbei Ausschüsse und Fehlproduktionen von Industrie- und Flaschenglas. Die scherbenförmigen, verschiedenfarbigen Glasabfälle durchlaufen einen speziellen Sinterprozess und werden somit zu neuen Scheiben verschmolzen. Dabei bleibt die Farbigkeit und Form der Glasscherben erhalten und es entsteht eine individuelle, besondere Ästhetik.
Copyright
Projektangaben Mehr.Wert.Pavillon
Konzept und Entwurf: Lisa Krämer, Simon Sommer, Philipp Staab, Sophie Welter, Katna Wiese, Karsten Schlesier, Felix Heisel, Dirk E. Hebel, Professur Nachhaltiges Bauen, KIT Karlsruhe
Ausführungsplanung und Standsicherheit: 2hs Architekten und Ingenieur PartGmbB Hebel Heisel Schlesier mit Lisa Krämer und Simon Sommer
Strukturelle Formfindung: Prof. Rosemarie Wagner, Professur Bautechnologie, KIT Karlsruhe
Prüfingenieur: Prof. Matthias Pfeifer, Karlsruhe
Ausführende Firmen Pavillon: AMF Theaterbauten GmbH, Udo Rehm / FC-Planung GmbH, Gebr. A. & F. Hinderthür GmbH, Kaufmann Zimmerei und Tischlerei GmbH, GrünRaum GmbH
Projekt- und Veranstaltungsträger: Entsorgungsbetriebe der Stadt Heilbronn, Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg und Bundesgartenschau Heilbronn 2019 GmbH
Projektfinanzierung: GreenCycle GmbH, Der Grüne Punkt – Duales System Deutschland GmbH (DSD) und SER GmbH
Projektpartner Pavillon: AMF Theaterbauten GmbH, Deutsche Foamglas GmbH, Glas Trösch GmbH, Hagedorn GmbH, Heinrich Feess GmbH & Co. KG, Magna Naturstein GmbH, Schröder Bauzentrum GmbH, DeFries, Smile Plastics, SPITZER-Rohstoffhandelsgesellschaft, StoneCycling, Studio Dirk van der Kooij
Gründe für die Teilnahme an dem/den Wettbewerb(en)
Die Architektur der Zukunft unterscheidet nicht mehr zwischen Rohstoffen und Abfällen, sondern konfiguriert die Ressourcen innerhalb einer Kreislaufbauwirtschaft neu. Der Mehr.WERT.Pavillon demonstriert auf innovative Weise die Wiederverwendung und das Recycling von Baumaterialien als einzige zukunftsfähige Ressource. Alle verwendeten Materialien haben bereits mindestens einen Lebenszyklus durchlaufen, entweder in gleicher oder in modifizierter Form. Darüber hinaus sind alle Verbindungen monomaterial und reversibel, und es wurden keine Klebstoffe oder Beschichtungen in dem Projekt verwendet. Der Pavillon nutzt somit die vorhandene städtische Mine und stellt gleichzeitig ein Materialdepot für zukünftige Bauten dar.