Das erste Passivhaus: Interview mit Dr. Wolfgang Feist [Teil 1]

4993 Zuletzt geändert vom Autor am 13/04/2017 - 10:24
Das erste Passivhaus: Interview mit Dr. Wolfgang Feist [Teil 1]

Vor 25 Jahren erichtete Dr. Wolfgang Feist das erste Passivhaus überhaupt in Darmstadt. Katrin Krämer vom Passivhaus Institut interviewte den Bauphysiker.

Die Kinder freuten sich: Hausbau bedeutet Aktion! Die Großeltern waren skeptisch, aber wohlwollend. Einige Experten jedoch veröffentlichten Abhandlungen, nach denen das Passivhaus niemals funktionieren könne. Wolfgang Feist ließ sich nicht beirren: „Dass man ein Haus energieeffizienter machen kann, war sofort klar“. Er wusste auch, dass er auf Dauer nicht als Exot gelten wollte: „Exoten haben Eintagsfliegenwert“. Beide Ziele hat der  Passivhaus-Pionier erreicht.

Sie waren vor 25 Jahren mit dem Bau des weltweit ersten Passivhauses ein richtiger Pionier.  Erinnern Sie sich noch an die Aufbruchstimmung damals? 

Natürlich! Es waren bewegte Zeiten. Und wie meist, die Menschen bewegten Großteils andere Dinge als die Zukunft des Planeten. Es war die Zeit des Zusammenbruchs der sogenannten „realsozialistischen“ Diktaturen. Energiepolitik war zu dieser Zeit nahezu gleichzusetzen mit Kernenergiepolitik. 

Nutzen der Wissenschaft

Aber es gab ein paar Aktive, die sich grundlegend mit der Frage beschäftigten, wozu wir eigentlich so viel Energie brauchen: William Shurcliff, Arthur Rosenfeld, und Amory Lovins in den USA, Harold Orr in Canada, Vagn Korsgaard und Joergen Noergard in Dänemark, Bo Adamson und Arne Elmroth in Schweden – so eine Aufzählung ist immer unvollständig. Diese Pioniere kamen meist aus sehr verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und sie waren engagiert, den Nutzen der Wissenschaft öffentlich zu verbreiten.

Foto Wolfgang Feist

Was waren Ihre Beweggründe, sich so für das Passivhaus bzw. alternative Baulösungen einzusetzen? 

Schon in den Siebziger Jahren war klar, dass die Ära der fossilen Energie zu Ende geht und dass das Kernproblem dieser (damals billigen) Energie die Produktion von Kohlendioxid war. Überwiegend wurde in dieser Zeit aber auf die Ablösung des fossilen durch das nukleare Zeitalter gesetzt. Nur wenigen Wissenschaftler, wie z.B. mein Freund Klaus Traube, hatten den mühsamen Prozess hinter sich, auch die Risiken der Kernspaltungsenergie richtig einzuschätzen.

Für den Bauphysiker Wolfgang Feist war klar, dass ein Haus auch energieeffizienter gebaut werden kann. 
Foto: Peter Cook

Problem bei der Wurzel gepackt 

Bei nüchterner Betrachtung war klar, dass es eine andere Ablösungsstrategie für die fossile Energie brauchte. Daher haben wir das Problem von der Wurzel gepackt: Analysiert, wofür diese Unmengen an Energie, die aus dem Boden gepumpt und deren Abfälle dann nach Verbrennungsprozessen in die Atmosphäre entlassen werden, eigentlich gebraucht werden. Das Ergebnis war schockierend: Der größte Einzelanteil der modernen Energieverbrauchs fließt einfach in die Gebäudeheizung, über ein Drittel!

Ergebnis schockierend 

Dass man dies auch effizienter machen konnte, war physikalisch gebildeten Menschen sofort klar. Es war eine Frage der Umsetzung. Daher wandten wir uns den praktischen Fragen von Heizungen, Wärmeleitungen, Fenstern, Dächern und Lüftungsanlagen zu.

Was hat Ihre Familie damals dazu gesagt, dass Sie „alternativ“ bauen wollten? War die so begeistert wie Sie? Ein Hausbau an sich ist ja schon nervenaufreibend und erfordert viel Engagement. Ein Pionier-Projekt noch mal mehr… 

Unsere beiden Kinder waren noch klein und begeisterten sich für alles, was um sie herum geschah. Meine Frau Witta war von Anfang an engagierte Akteurin im Projekt, schließlich haben wir einen großen Teil unseres Erkenntnisprozesses gemeinsam vollzogen.

Passivhaus Darmstadt
 
Foto: Peter Cook
 

Großeltern skeptisch, aber wohlwollend 

Die Großeltern schauten mit etwas Skepsis aber wohlwollend auf diese „Spinnerei“ – und unterstützten uns dann im Rahmen ihrer Möglichkeiten.  Das ist schon richtig: Die ganz „normalen“ Reibereien eines Bauprozesses blieben uns nicht erspart. Und es wurde nicht dadurch einfacher, dass wir es auch noch „anders“ als üblich realisiert haben wollten.

Reibereien blieben nicht aus  

Wir hatten Unterstützung: Die Architekten Prof. Bott, Ridder und Westermeyer zogen bei fast allen unseren Wünschen mit (und machten sich nur am Ende ein wenig lustig über die streng eingehaltenen Prinzipien). Das Institut Wohnen und Umwelt erlaubte die zugehörige Begleitforschung, die vom Hessischen Wirtschaftsministerium gefördert wurde.

Kabellos gab es noch nicht  

Wir haben hunderte von Sensoren in den Bauteilen des Gebäudes vergraben. Auch das war damals etwas aufwendiger als heute, „kabellos“ war noch nicht, hunderte Kabel mussten korrekt verdrahtet und aufgelegt werden.

Sie waren damals vier Bauherren, die sich aus privater Initiative für den Bau eines Passivhauses engagiert haben. Wer waren die anderen Bauherren?  

Es gab einen von der Stadt Darmstadt ausgewiesenen Bauplatz, und eine lange Bewerberliste für die dort in Erbpacht zu vergebenden Grundstücke. Die Bewerbung für solche Bauplätze stand denen offen, welche die Kriterien der Stadt erfüllten: Es mussten Familien mit begrenztem Einkommen sein.

Suche nach Bauherren schwierig 

Dennoch erwies sich die Suche nach Mitbauherren zunächst als schwierig. Erst, als wir selbst schließlich den Mut aufbrachten, mit zu bauen, war das Eis gebrochen. Es fanden sich drei Familien ein, die bereit waren, mit zu machen. Alle kamen aus ganz anderen Berufen, niemanden kannten wir vorher. 

Wie haben sie es geschafft, sich beim Bau immer zu einigen? Oder hat es in der Bauphase auch mal ordentlich „gedonnert“?

Eine wichtige Rolle dabei spielten die Bauherrenbetreuung durch „Rasch und Partner“ und die Architekten. Die haben es geschafft, alle Klippen elegant zu umschiffen. Wir kannten diese Partner von vorherigen Projekten, bei denen sie es ebenfalls geschafft hatten, die zentrifugalen Kräfte während Baugemeinschaftsprojekten zu kompensieren.

„Wir wurden belächelt“ 

Im Fall dieses ersten Prototyp-Hauses mussten und konnten wir von der Rationalität der jeweiligen Lösungen überzeugen; selbstverständlich wurden auch hier manche Dinge (im Geheimen und auch offen) belächelt. Aber, alle waren auch neugierig, ob das wohl funktionieren könnte, ein Haus, das so gut wie keine Heizenergie braucht.

Haben Sie die Baukosten dann einfach durch vier Familien geteilt?  

Es gab einen Teilungsschlüssel für die Standardausstattung. Und es war erlaubt, „Extras“ zu bestellen, wie z.B. abgetrennte Küchen oder besondere Fußbodenbeläge, die dann von den jeweiligen Baufamilien individuell bezahlt wurden. Im Großen und Ganzen sind die vier Wohnungen gleich aufgebaut, zumindest, was ihre bauliche Qualität angeht. Alle sind Passivhäuser, auch nach den heutigen Kriterien.

Sonderwünsche erlaubt  

Für die (damals noch relevanten) zusätzlichen Investitionskosten, die sich auf rund 90.000 DM je Hauseinheit beliefen, gab es eine Förderung von 50% durch das Hessische Wirtschaftsministerium. Damals war Energie noch viel billiger als heute. Für ein solches Forschungsprojekt stand somit die unmittelbare Wirtschaftlichkeit des Prototyps nicht im Fokus.

Energie damals billig 

Es sollte ausprobiert werden, ob das Konzept funktioniert. Die Kostenreduktion bei den Komponenten ist eine Aufgabe, die zwar schon bei der Auswahl der Lösungen berücksichtigt wurde, aber eine spätere Zielsetzung bleiben musste. Bei anderen technischen Entwicklungen ist das ähnlich: Die ersten wissenschaftlichen Taschenrechner kosteten ca. 2000 DM, aber nachdem klar war, wie und dass das funktioniert, konnten die Kosten drastisch gesenkt werden.

Ist die Zusammensetzung der Familien in Ihrer Reihenhausanlage heute noch so wie damals? 

Eine Eigentümerfamilie vermietet ihre Einheit. Familien bekommen Zuwachs – und sie durchleben unterschiedliche Phasen, wie überall auf dieser Welt.

Verstehen Sie sich immer noch gut untereinander? 

Die Eigentümergemeinschaft ist wie in den meisten Fällen heute eine Zweckgemeinschaft. Im Pilotprojekt gab es den Versuch, gemeinschaftliche Nutzungen anzubieten (wie die Waschküche und den Trockenraum), dort, wo dies von der Sache her nutzbringend ist. Die Idee dazu kam aus Schweden, wo solche Einrichtungen selbstverständlich sind.

Zweck oder Gemeinschaft?  

Um ehrlich zu sein: So recht bewährt hat sich das bei uns nicht. Wohl auch, weil unsere gesellschaftlichen Trends generell zu mehr Vereinzelung gehen; heute kauft sich jemand eher einen Bohrschrauber selbst, als dass er/sie ihn sich vom Nachbarn ausborgt. Solche Trends gehen natürlich auch an so einer Baugemeinschaft nicht vorbei.

Dr. Wolfgang Feist mit Familie vor der Reihenhausanlage in Darmstadt-Kranichstein. Ein Hausbau ist an sich schon nervenaufreibend. Dass ihr Haus das erste Passivhaus überhaupt werden sollte, verlangte von den Bauherren nochmal ganz besonderes Engagement.
Foto: Peter Cook

 

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Moderator

Sylvain Bosquet

Responsable Web editorial